Th. Schmidt u.a. (Hrsg.): Perceptions of the Second Sophistic

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Titel
Perceptions of the Second Sophistic and its Times / Regards sur la Seconde Sophistique et son époque.


Herausgeber
Schmidt, Thomas; Fleury, Pascale
Reihe
Phoenix Supplementary Volumes 49
Erschienen
Anzahl Seiten
XX, 273 S.
Preis
$ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Fron, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Der von Thomas Schmidt und Pascale Fleury herausgegebene Sammelband „Perceptions of the Second Sophistic and Its Times/Regards sur la Seconde Sophistique et son époque“ ist aus einem gleichnamigen Forschungsworkshop hervorgegangen, der vom 28. bis 30. September 2007 an der Universität Laval (Quebec) veranstaltet worden ist. Der Band versammelt 14 englische und französische Beiträge, die im Rahmen dieses Workshops vorgestellt wurden. Dabei kommen die Teilnehmer selbst im Wesentlichen von kanadischen Universitäten oder weisen enge Beziehungen zu diesen auf. Angestrebt wurden verschiedene Blicke auf das Phänomen der Zweiten Sophistik, wobei jenseits der Veränderungen innerhalb der rhetorischen Praxis auch deren Einflüsse auf die übrigen Gebiete der Literatur und Künste in den ersten drei nachchristlichen Jahrhunderten mit aufgenommen wurden. Infolgedessen ergibt sich eine Gliederung der Beiträge in fünf unterschiedliche Sektionen.

Die erste Sektion vereinigt drei Beiträge zum Thema „Wesen und Präsenz der Zweiten Sophistik“. Den Anfang macht dabei eine Studie von Adam Kemezis (S. 3–22), welcher der bis heute ungeklärten Frage nach der Auswahl des Philostratos in seinen „Bioi sophiston“ eine zusätzliche geographische Komponente hinzuzufügen bemüht ist. Die interessante Hypothese Kemezis’ besteht darin, dass Philostratos in seinem Werk maßgeblich um eine Darstellung der Entstehung seiner eigenen kulturellen Umwelt bemüht sei, als deren Zentren sich nach Meinung des Biographen bis zum 3. Jahrhundert insbesondere Athen und fast gleichbedeutend ebenfalls Rom herausgebildet hätten. Die einzelnen Etappen dieser Entwicklung bis in seine Zeit habe Philostratos in seinem Werk nachzeichnen wollen. Im zweiten Beitrag begibt sich Ian Henderson (S. 23–35) auf die Suche nach Rednern, denen der Aufstieg zu hochgefeierten Sophisten verwehrt war, welche das sophistische Verhalten aber dennoch nachahmten. Dabei stützt er sich auf eine doppelte Hypothese: Laut Henderson war die Bewegung der Zweiten Sophistik technisch sowie auch gesellschaftlich elitär, woraus er mit Verweis auf die Studie von Homi Bhabha1 auf die Existenz von solchen „Pseudo-Sophisten“ schließt. Zum Kriterium bei der Suche nach „sub-kanonischen Sophisten“ wird für ihn das Scheitern als virtuoser Redner bei einem gleichzeitigen Aufblühen als Schriftsteller, wobei die Schriften selbst Spuren einer genauen Kenntnis der Zweiten Sophistik aufweisen. Neben Lukian von Samosata wird der Fokus maßgeblich auf christliche Autoren und insbesondere auf Paulus von Tarsos gelegt. Demgegenüber untersucht Dominique Côté (S. 36–61) eingehend die zentrale Begegnung zwischen dem Heros Herakles/Agathion und Herodes Atticus in der Biographie des Philostratos. Der Fokus liegt dabei auf Agathion selbst, der als Sinnbild der philosophisch-heroischen Elemente der Sophistik interpretiert wird.

Die zweite Sektion widmet sich in drei Aufsätzen dem Thema „Der Redner und sein Bild“. Dabei untersucht Pascale Fleury (S. 65–75) den von ihm im Rahmen seiner Arbeit an der Budé-Ausgabe zu Fronto2 bereits beobachteten Einsatz einer Metaphorik sowohl bei den griechischen als auch bei den lateinischen Rhetoren der Zweiten Sophistik, welche eine Verknüpfung der Rhetorik mit dem Göttlichen anstrebt. Es gelingt Fleury, die Wiederentdeckung dieses Stilmittels, das bereits in der Ersten Sophistik verankert gewesen ist, für die Vertreter der Zweiten Sophistik herauszuarbeiten. Die Funktion der Metaphorik zur Erhöhung der Rhetorik bleibt dabei erhalten, wobei in der Kaiserzeit Beispiele aus dem Orakelwesen bevorzugt werden. Einen neuen Versuch, die Intention der „Heiligen Berichte“ des Aelius Aristides zu ergründen, unternimmt Janet Downie (S. 77–86). Ihren Untersuchungen zufolge verwendet Aelius Aristides in den „Hieroi Logoi“ zwei unterschiedliche Metaphertypen: zum einen der bereits im vorherigen Beitrag behandelte Vergleich der Tätigkeit des Rhetors mit der mystischen Erfahrung des Eingeweihten und zum anderen das Motiv des athletischen Trainings. Nach Downie ermöglicht diese Metaphorik wiederum eine Verknüpfung der göttlichen Heilung durch Asklepios mit der damit verbundenen Vorbereitung auf den rhetorischen Alltag des Aelius Aristides und dient somit der Erhöhung des eigenen Prestiges gegenüber den Kollegen. Dabei wird jedoch die anregende Studie von Alexia Petsalis-Diomidis nicht berücksichtigt.3 Zuletzt erforscht Anne Pasquier (S. 87–101) die Bedeutung des Visuellen und die Nutzung von Bildern in der Zweiten Sophistik. Dazu vergleicht sie Philostratos und den zum Christentum konvertierten Clemens von Alexandria miteinander. Darüber hinaus vermag sie insbesondere die enge Anbindung des frühen Christentums an die zeitgenössische hellenische Kultur aufzuzeigen.

Das Themengebiet „Vergangenheit und die griechische Identität“ wird in der dritten Sektion behandelt. Dabei widmet sich der Beitrag von Thomas Schmidt (S.105–119) der Verwendung des Barbarenbegriffes bei Dion Chrysostomos. Schmidt zeigt auf, dass sich Dion entgegen ersten Erwartungen nicht auf den in der Zweiten Sophistik üblichen bipolaren Gegensatz von Griechen und Barbaren beschränkt, sondern sich darüber hinaus um ein deutlich differenzierteres Bild bemüht sowie wirkliches Interesse an den „Barbaren“ zeigt.4 Diese für die Zweite Sophistik so charakteristische Verwendung des Gegensatzpaares Griechen und Barbaren weist Marie-Hélène Mainguy (S. 120–132) auch für Athenaios nach. Die Anknüpfungspunkte eines weiteren „Außenseiters“ zur Zweiten Sophistik erforscht Janick Auberger (S. 133–145) am Beispiel des Pausanias. Darüber hinaus identifiziert er ebenfalls Elemente der Eigenständigkeit und der Abgrenzung von den sprachlichen Zwängen der Kultur der Zweiten Sophistik. Dabei nimmt er leider auf die neueste Studie zu Pausanias von Pretzler keinen Bezug.5

Die vierte Sektion umfasst das Oberthema „Text, Tradition und Darbietung“. Ammonius’ Theorie des Tanzes in Plutarchs Tischgespräch 9,15 erforscht und kontextualisiert Karin Schlapbach (S. 149–168). Durch einen Vergleich dieser Passage mit den Theorien anderer Autoren gelingt es ihr – trotz der in der antiken Literatur häufig betonten engen Verbindung zwischen der Theorie des Tanzes und der der Dichtkunst – Ammonius’ Eigenständigkeiten herauszuarbeiten. Einen äußerst anregenden Beitrag stellt Sean A. Guards (S. 169–184) Untersuchung zu Galens unterschiedlicher Nutzung der Begriffe pros ekdosin und ou pros ekdosin in seinen Werken dar. Dabei analysiert er zwei unterschiedliche Publikationsgruppen: zum einen Galens Kommentare zu den Werken des Hippokrates und zum anderen seine eigene Schriften, insbesondere sein Traktat „Über meine eigene Publikation“. Dadurch ermöglicht Guard nicht nur einen Einblick in die Verbreitungswege von für eine Publikation intendierten (pros ekdosin) sowie nicht intendierten (ou pros ekdosin) Werken, sondern es gelingt ebenso die Bemühungen eines Autoren wie Galen zur Eindämmung dieser unkontrollierte Verbreitung der Schriften aufzuzeigen.

Sektion V widmet sich dem in den letzten Jahren zu Recht stärker in den Fokus der Forschung getretenen Thema des „Erbes und Einflusses der Zweiten Sophistik“.6 Darin vermag der erste Beitrag von John Vanderspoel (S. 187–198) zur Frage einer möglichen Wiederentdeckung des Aelius Aristides im Jahre 350 n.Chr. nicht zu überzeugen, da er sich lediglich auf eine Reihe von Hypothesen stützt. Zudem sei auf die generelle Schwierigkeit dieses Ansatzes, im 4. Jahrhundert eine „Wiederentdeckung“ der Zweiten Sophistik zu konstatieren, hingewiesen: Von der griechischen Literatur des 3. Jahrhunderts ist nur sehr wenig erhalten geblieben; es ist daher problematisch, hier einen solchen Bruch in der Literaturgeschichte anzunehmen. Meines Erachtens sollte von einer fortlaufenden Entwicklung der Zweiten Sophistik von Philostratos bis zum 4. Jahrhundert ausgegangen werden. Gemäß der schon oftmals attestierten großen Bewunderung des Libanios für Aelius Aristides weist Diane Johnson (S. 199–215) zahlreiche Ähnlichkeiten zwischen Libanios’ Monodie für Daphne und derjenigen für Eleusis des Aelius Aristides nach. Den Abschluss bildet eine Untersuchung der Rede „Peri ton etychekoton epi Oualentos“ des Themistios und des darin enthaltenen Begriffs tyrannos von Christian R. Raschle (S. 216–234), der in eindrücklicher Weise auf die Erweiterung der Begriffsbedeutung „Tyrann“ zur Bezeichnung und Charakterisierung eines Usurpators im 4. Jahrhundert n.Chr. hinweist und den prekären Entstehungskontext der Schrift in diese Analyse sinnvoll integriert.

Die in diesem Sammelband versammelten Beiträge bieten zahlreiche, sehr unterschiedliche Einblicke in die Kultur der Zweiten Sophistik und ihrer „Nachwirkung“. Die Untersuchungen beschränken sich erfreulicherweise nicht allein auf die „klassischen“ Autoren zur Zweiten Sophistik, was die bereits häufig zu attestierende Breitenwirkung dieser kulturellen Bewegung der Kaiserzeit abermals unterstreicht. Dabei bieten die Beiträge größtenteils eine Vielzahl interessanter Ansätze und Anregungen. Insgesamt stellt der Band daher eine Bereicherung für jeden Forschenden zur Zweiten Sophistik und der Kultur zur Kaiserzeit dar.

Anmerkungen:
1 Homi K. Bhabha, The location of culture, London 1994, bes. S. 88–90.
2 Pascale Fleury (Hrsg.), Fronton, Correspondance, Paris 2003.
3 Alexia Petsalis-Diomidis, Truly Beyond Wonders. Aelius Aristides and the Cult of Asklepios, Oxford 2010.
4 Die Ergebnisse decken sich mit früheren Untersuchungen von Gustav Adolf Seeck, Gegenwart und Vergangenheit bei Dion von Prusa, in: Martin Flashar / Hans-Joachim Gehrke / Ernst Heinrich (Hrsg.), Retrospektive. Konzepte von Vergangenheit in der griechisch-römischen Antike, München 1996, S. 113–123, der bei einer allgemeinen Analyse der Sprache des Dion Chrysostomos ebenfalls einen starken Zeitbezug bei seinem Rückgriff auf die Vergangenheit feststellte.
5 Maria Pretzler, Pausanias. Travel Writing in Ancient Greece, London 2007, bes. S. 16–31.
6 Siehe etwa das Kapitel zur Rezeption bei William V. Harris / Brooke Holmes (Hrsg.), Aelius Aristides between Greece, Rome, and the Gods, Leiden 2008.

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